M. Schmutzler: Die norwegische Friedensdiplomatie

Title
Die norwegische Friedensdiplomatie in internationalen Konflikten.


Author(s)
Schmutzler, Marcel
Series
Internationale Hochschulschriften 511
Published
Münster 2009: Waxmann Verlag
Extent
220 S.
Price
€ 29,90
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Benjamin Gilde, Berlin

Das vergleichsweise junge Norwegen – es blickt erst auf etwas über 100 Jahre als unabhängiger Staat zurück – hat im Laufe des vergangenen Jahrhunderts mehrfach mit friedensdiplomatischem Engagement auf sich aufmerksam gemacht. Angefangen bei der jährlichen Vergabe des Friedensnobelpreises über die Aktivitäten Fridtjof Nansens für die Flüchtlingshilfe im Rahmen des Völkerbundes und die Tätigkeit Trygve Lies als erstem offiziell ernanntem UNO-Generalsekretär bis hin zum Einsatz Norwegens für eine friedliche Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes, der zu den beiden Oslo-Abkommen von 1993 und 1995 führte.

Marcel Schmutzler hat sich in seiner Untersuchung zur Aufgabe gemacht, die Friedensdiplomatie Norwegens nach 1990 näher zu untersuchen, wobei er sich auf vier norwegische Vermittlungsinitiativen konzentriert: den erwähnten Oslo-Prozess zur Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes sowie die weniger bekannten Aktivitäten in Guatemala, im Sudan und in Sri Lanka. Dabei geht es ihm darum, das in der norwegischen Literatur so genannte „Norwegische Modell“ der Friedensdiplomatie näher zu beleuchten. Die Besonderheiten dieses Modells sieht Schmutzler im engen Zusammenspiel von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren, wobei es sich bei Letzteren einerseits um entwicklungspolitisch engagierte NGOs, andererseits um Forschungsinstitute handelt. Diese seien, so ein Ergebnis dieser Untersuchung, beim Aufbau von Kontakten und Vertrauen in die jeweilige Krisenregion „von überwiegender Bedeutung“ (S. 168). Gleichzeitig betont Schmutzler „die Bedeutung der individuellen norwegischen Akteure“ (S. 169).
Für die eigentlichen Verhandlungen – die „entscheidende […] Phase der norwegischen Vermittlungsinitiativen“ – konstatiert er hingegen, dass NGOs „eine eher untergeordnete Rolle“ einnahmen. Lediglich bei so genannten „Katalysatorinitiativen“, die den Verhandlungsprozess einleiten, sei ihnen „vorrangige Bedeutung“ zugekommen (S. 189f.). Erst bei der Implementierung der verhandelten Abkommen oder Übereinkünfte seien die NGOs wieder etwas bedeutender gewesen, etwa durch ihr Engagement in der Entwicklungszusammenarbeit oder vertrauensbildende Maßnahmen (S. 195). Schmutzlers wohl bedeutendste Erkenntnis ist, dass das „Norwegische Modell“ kein Mittel ist, „Norwegen gezielt in einen Friedensprozess zu involvieren“ und es daher eher „als Phänomen denn als Strategie“ betrachtet werden sollte (S. 202). Der entscheidende Faktor bei allen vier betrachteten Initiativen waren, so schließt er folgerichtig, engagierte Individuen (S. 202 und S. 219f.). Schmutzlers Weg zu diesem Ergebnis ist indes in vielerlei Hinsicht problematisch.

Bereits der Aufbau der Arbeit überzeugt nur bedingt; vor allem die Gewichtung der einzelnen Teile ist unausgewogen. Schmutzler beginnt mit einer etwas knappen Einleitung, aus der sein Erkenntnisinteresse und seine Vorgehensweise nur ungenau hervorgehen. Die ersten beiden Kapitel stecken die theoretischen Grundlagen (Konflikt-, Vermittlungs- und Kleinstaatentheorien) und die „Rahmenbedingungen der norwegischen Friedensdiplomatie“ (S. 46) ab. Letzteres umfasst einen historischen Abriss der norwegischen Friedensgeschichte im 20. Jahrhundert, eine Betrachtung der staatlichen und nicht-staatlichen Akteure sowie der friedenspolitischen Rahmenbedingungen nach dem Ende des Kalten Krieges. Diese beiden Hinführungskapitel nehmen mit gut achtzig Seiten mehr als ein Drittel der gesamten Arbeit ein und hätten wesentlich konziser gefasst und auf den Punkt gebracht werden müssen.

Die wenig zugespitzte Weitschweifigkeit geht im empirischen Teil weiter. Das dritte Kapitel schildert auf knapp sechzig Seiten en détail die zuvor genannten vier norwegischen Vermittlungsaktionen, ergänzt durch einen kleinen Überblick über sechs „Unvollständige Initiativen“ (S. 153). Dies ist eine beeindruckende Leistung, an deren sachlicher Korrektheit nicht zu zweifeln ist. Das Kapitel ist aber voller Redundanzen, es ist wenig analytisch und gleicht in weiten Teilen einer chronologischen Nacherzählung der Ereignisabläufe, rekonstruiert anhand vorhandener Sekundärliteratur. Redundant sind beispielsweise die über zweiseitige Erläuterung und Definition des Nahostkonfliktes (S. 101–103) und die fast sieben Seiten zu den norwegischen Beziehungen zu den Konfliktparteien vor 1990 (S. 103–109). Prinzipiell ist gegen Vorgeschichten nichts einzuwenden. Sie sollten jedoch stets auf das Wesentliche, also das für die eigene Argumentation Notwendige, reduziert bleiben.

Der eigentlich analytische und argumentative Teil befindet sich in Kapitel vier und fünf. Hier nähert er sich dem „Norwegischen Modell“ an, indem er die vier Initiativen systematisch und komparativ betrachtet, entlang typischer Phasen derartiger Vermittlungstätigkeiten: dem Aufbau von Kontakten und Vertrauen, den eigentlichen Verhandlungen sowie schließlich der Implementierung etwaiger Abkommen. Schließlich versucht Schmutzler, das „Norwegische Modell“ auf dieser Grundlage zu definieren und geht der Frage nach, warum Norwegen als Vermittler so attraktiv sei. Dies ist mit Abstand das stärkste Kapitel, ist in seiner Argumentation aber nicht immer stringent. Bereits der Anfang des Kapitels mutet etwas absurd an: Ausgehend von der banalen Feststellung, die vier skizzierten Vermittlungsinitiativen offenbarten Gemeinsamkeiten und Unterschiede, stellt er die Frage, ob ein Vergleich und eine anschließende Definition des „Norwegischen Modells“ überhaupt möglich sei. „Zur Beantwortung dieser Frage“, so erläutert Schmutzler sinngemäß, wird er die Initiativen vergleichen und das „Norwegische Modell“ definieren (S. 157).

Damit ist zugleich das größte Manko des Buches angesprochen, das in der zentralen Fragestellung und deren Beantwortung liegt. Schmutzlers Erkenntnisinteresse ist in sich widersprüchlich: Im Mittelpunkt der Arbeit stünden die „Strategie und die Besonderheiten der norwegischen Vermittlungsarbeit“, wobei das besondere Interesse „den verschiedenen Akteuren, ihren jeweiligen Funktionen und gegenseitigen Beziehungen innerhalb dieser Strategie“, also dem „Norwegisches Modell“, gelte. Schwierig wird es dort, wo Schmutzler es als „das vorrangige Ziel“ seiner Untersuchung bezeichnet, der „Existenzberechtigung dieses Begriffes“ auf den Grund zu gehen, diesen aber gleichzeitig „mit Inhalt […] füllen“ möchte (S. 9). Schmutzler fehlt es ganz offensichtlich an der nötigen Ergebnisoffenheit, um sich mit der Existenzberechtigung des „Norwegischen Modells“ kritisch auseinanderzusetzen. Wenn er dieses Modell nämlich mit Inhalt füllen möchte, impliziert er bereits, dass es ein solches gibt. Was hier als theoretische Spitzfindigkeit erscheinen mag, erweist sich bei der weiteren Lektüre als Problem. Zwar stellt er punktuell das „Norwegische Modell“ in Frage, etwa wo er von einem Phänomen statt einer Strategie spricht. Auch in seinem „Definitionsversuch“ setzt er sich mit den bisherigen Definitionen kritisch auseinander und stellt die berechtigte Frage: „Lässt sich überhaupt eine wiederkehrende Struktur über die Minimaldefinition einer Zusammenarbeit staatlicher und nicht-staatlicher Akteure hinaus bestimmen?“ (S. 199)

Auf das Gedankenspiel, das „Norwegische Modell“ habe womöglich gar keine Existenzgrundlage, lässt er sich dennoch zu keinem Moment ernsthaft ein. Stattdessen operiert er wie selbstverständlich mit diesem Begriff, füllt ihn, wie in der Einleitung angekündigt, mit Inhalt und versucht ihn zu definieren. Er behandelt das „Norwegische Modell“ als Strategie und nicht als Phänomen, trotz seiner Erkenntnis, dass eigentlich Letzteres eher als Ersteres zutrifft. Somit wird er seinem „vorrangige[n] Ziel“ (S. 9), der Existenzberechtigung dieses Begriffs auf den Grund zu gehen, kaum gerecht. Es wäre nichts dagegen einzuwenden gewesen, die Begriffsdiskussion in eine Fußnote zu verbannen, in der Hauptsache anderen zu überlassen und für sich den Begriff als gegeben anzunehmen. Wenn man aber wie Schmutzler anhebt, das „Norwegische Modell“ in Frage zu stellen, muss man diesem Anspruch auch nachkommen, dies umso mehr, als seine Erkenntnisse deutliche Zweifel an diesem Modell aufkommen lassen. Ob das von ihm beschriebene Muster der Zusammenarbeit zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren bei der Konfliktvermittlung wirklich diesen Begriff rechtfertigen, ist fraglich. Er konstatiert selbst die große Bedeutung engagierter Individuen „innerhalb des Norwegischen Modells“ (S. 219) räumt ein, dass es sich hierbei wohl kaum „um ein spezifisch norwegisches Phänomen handelt“ (S. 220). Als Beispiele nennt er das schwedische Engagement unter Olof Palme sowie den Einsatz des ehemaligen finnischen Präsidenten Martti Ahtisaari. Letztlich ist Schmutzlers Methode für seine Zielsetzung schlicht ungeeignet. Er hätte nicht norwegische Initiativen untereinander, sondern die norwegische Strategie mit der anderer Vermittlernationen vergleichen müssen. Nur so ließe sich feststellen, ob die Norweger tatsächlich über ein besonderes „Modell“ verfügen, oder ob dies nicht eher eine Erfindung norwegischer Politiker, Diplomaten und Politologen ist.

Was bleibt? Eine flüssig geschriebene Arbeit über die norwegische Konfliktvermittlung nach 1990, die eine „Systematisierung und Analyse bisher verfügbaren Wissens“ (S. 10) bietet, und zum Teil die richtigen Fragen stellt, diese aber nicht befriedigend beantwortet. Wer einen guten Überblick über die vier genannten Initiativen und die jeweilige Rolle der norwegischen Akteure sucht, der wird hier fündig. Wer neue Erkenntnisse zur norwegischen Friedensdiplomatie erwartet, wird jedoch eher enttäuscht sein.

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09.12.2011
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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